Von 1952 bis 2004 war die Kurklinik Wiedemann der Jungbrunnen für Normalbürger und prominente Gäste. Bei meinem Besuch im Jahr 2023 ist das Gelände nach 20 Jahren Stillstand weitgehend abgerissen und geräumt. Vor der Räumung gab es einen heftigen Skandal um Patientenakten, die in der Kurklinik jahrelang offen herumlagen und von lostplace-Besuchern pressewirksam gefunden wurden. Eine völlig schräge Geschichte mit Bezug zu Nachkriegszeit, Wirtschaftswunder und dem Wandel im deutschen Gesundheitswesen.
Nach dem zweiten Weltkrieg folgte der Wiederaufbau in Deutschland. Das Wirtschaftswunder brachte den Menschen Wohlstand und bessere medizinische Versorgung. Viele wollten die Kriegsjahre hinter sich lassen und das Leben genießen. Es entstanden Uthopien um ewige Jugend, italienisches Dolce Vita und Gesunderhaltung in herrlicher Umgebung. Durch Herrn Dr. Wiedemann wurde diese Uthopie über viele Jahre am Starnberger See zur Realität. Das heute bereits abgerissene Waldschlößl war anfangs eine Art übergroße Zweitwohnung für den finanziell betuchten Arzt aus München. Dort begann er mit den ersten Beherbergungen und Behandlungen seiner Kurgäste.
50 Jahre ewige Jugend, Wohlstand und Gesundheit
Im Verlauf der Jahre wuchs die Kurklinik Wiedemann zu einer beachtlichen Größe. Bis zu 500 Gäste genossen die Kur auf der Anhöhe über dem Starnberger See. Die Aussicht muss herrlich gewesen sein. Und so wurden Patientenakten sogar für sehr prominente Besucher angelegt: Laut Recherche diverser Zeitungen verkehrten unter anderem Klausjürgen Wussow (Schauspieler Professor Brinkmann, Serie Schwarzwaldklinik), Gert Fröbe, Harald Juhnke (Entertainer mit Nähe zu Alkohol), Inge Meysel (Schauspielerin und FKK-Liebhaberin), Heidi Kabel (norddeutsche Schauspielerin) und Rudolf Moshammer (Modeschöpfer mit Hund) in der Kurklinik Wiedemann. Dutzende Ärzte und Bedienstete kümmerten sich um das Wohlergehen der Kurgäste. Knapp 50 Jahre war Gesunderhaltung und ewige Jugend der Magnet für tausende Gäste in Ambach am Starnberger See.
Das Ende der Kurklinik Wiedemann
Im Jahr 2004 endete die jahrzehnte gelebte Uthopie. Denn die Kurklinik wechselte erstmals den Besitzer heraus aus Familienhand. Danach kam die ehemalige Kurklinik Wiedemann nicht mehr auf die Beine. Zunehmend verloren die Gebäude Riviera, Panorama und das Waldschlößl an Attraktivität für Investoren. Neue Anforderungen an Gebäude machten massive Investitionen nötig. Zunehmender Sparkurs machten aus dem deutschen Gesundheitswesen ein Alters- und Krankenversorung.
Der Dateskandal um Patientenakten
Im Jahr 2016 wurde durch Abenteurer und Journalisten ein Datenskandal in der ehemaligen Kurklinik Wiedemann aufdeckt. Denn in der ehemaligen Kurklinik wurden alte Patientenakten und sensible Informationen zu Gästen und Patienten gefunden. Dieser Skandal erlangte Aufmerksamkeit durch Berichte auf ARD Brisant. Somit ging der Skandal erst richtig los und es reisten zahlreiche lostplace-Abenteurer nach Ambach um heimlich in die verlassene Kurklinik einzubrechen. Die Ambacher Einwohner waren zunehmend genervt vom unangenehmen Hype am sonst so ruhigen und friedlichen Ostufer des Starnberger Sees. Kurze Zeit später bewachte ein Sicherheitsdienst das nun umzäunte Gelände. Zudem schaltete sich die Staatsanwaltschaft München in den Datenskandal ein. Es folgte eine harte Diskussion um Zuständigkeiten und Haftung der Verantwortlichen. Bis die Klinik schließlich geräumt wurde.
Deutsche Wirtschaft und sein Gesundheitswesen im Wandel
Heute sind von der Kurklinik Wiedemann nur noch Steinhaufen und letzte Grundmauern zu sehen. In wenigen Monaten wird dieser einst schillernde Ort zwischen Simetsbergweg und Pilotyweg nur mehr Geschichte sein. Dennoch war es richtig, sich im Feierabend nochmal aufzuraffen um den Ort zu besuchen. Denn diese Kurklinik spannt einen Bogen. Und zwar einen Geschichtsbogen des Wohlstandes und des Gesundheitswesen in Deutschland von der Nachkriegszeit bis zum Heute.
Mehr zur Kurklinik Wiedemann, Ambach am Starnberger See
Bericht Münchner Merkur vom Januar 2021 (link)
Bericht zum Interesse am Gelände durch Investoren 2018 (link)